Duo-Vergnügen von Mozart bis Klezmer
02. Juli 2020 Autor: Klaus Ross (ross) Musikalischer Neustart nach dreieinhalb Monaten Corona-Zwangspause: Auf das erste Konzert in Sankt Georg seit Mitte März hatte das Publikum offenbar sehnsüchtig gewartet. Die zugelassenen 85 Plätze für den von Gregor Knop kurzfristig organisierten Duo-Abend mit der Star-Klarinettistin Irith Gabriely und ihrem Orgelpartner Jorin Sandau waren schon vorab ausgebucht.
Sandaus erfrischend luzide Wiedergabe dieses stilistisch facettenreichen Variationenjuwels machte unbedingt Appetit auf mehr.
2013 schrieb die Darmstädter Komponistin Barbara Heller (*1936) einen Orgel-Gedenkchoral für die verstorbene Dirigentin Elke Mascha Blankenburg, zu dem wiederum ihre Freundin Irith Gabriely eine ergänzende Klarinettenstimme im leidenschaftlich deklamierenden Kaddisch-Gebetston beisteuerte.
Für den Organisten bedeutete dieses Gastspiel die Rückkehr an seine alte Wirkungsstätte: 2010 und 2011 arbeitete er hier als Knops Assistent, um danach als Regionalkantor an die Darmstädter Kirche Sankt Ludwig zu wechseln. Das vielgestaltige Programm reichte vom Barock bis zur allerjüngsten Moderne und hielt natürlich auch Kostproben des von Irith Gabriely so unverwechselbar gepflegten Klezmer-Repertoires bereit.
Herrlich rund und sonor Mit den beiden Eingangsstücken brachte sich die ehemalige Solo-Klarinettistin am Staatstheater Darmstadt (1978 bis 1995) als wunderbar individuelle Klassikinterpretin in Erinnerung. Die von der Forschung wahlweise Johann Sebastian oder Carl Philipp Emanuel Bach zugeschriebene g-moll-Sonate BWV 1020 klang in der farblich höchst aparten Version von Gabriely und Sandau mindestens ebenso attraktiv wie in der gängigen cembalobegleiteten Flötenfassung.
Originelles Gemeinschaftswerk An der Seite des ebenbürtig inspirierten Organisten wurde dieses originelle Gemeinschaftswerk auch in Bensheim zu einem intensiven Ausdruckserlebnis, dessen instrumentale Dialoge und Farbkontraste wohl kaum beredter hätten ausfallen können.
Der letzte Programmteil gehörte vor allem der „Queen of Klezmer“, die in einem sephardischen Improvisationsstück des Kodály-Schülers André Hajdu (1932-2016) wie in einem kurzen Intermezzo auf dem archaischen Signalhorn „Schofar“ auch räumlich ganz nahe an ihr begeistertes Publikum heranrückte.
Zündend spritzig und knackig das plastisch artikulierte Linienspiel der Rahmensätze, herrlich rund und sonor das empfindsam strömende Es-Dur-Melos des Adagio-Satzes: Dieser vitale Bach-Auftakt war ein veritabler Muntermacher.
Dass Irith Gabriely eine wahre Sängerin auf ihrem Instrument ist, zeigte sich erst recht im berühmten D-Dur-Adagio aus Mozarts spätem A-Dur-Klarinettenkonzert KV 622. Der einzigartig schöne Satz kam fabelhaft klar und unsentimental daher, ganz ohne pseudoromantische Verzärtelungen. Jorin Sandau ließ die ungewohnte Orgelbegleitung erstaunlich passend erscheinen.
Eine besondere Rarität bot er mit den Corelli-Variationen opus 56 des lange in Darmstadt wirkenden Beethoven-Altersgenossen Christian Heinrich Rinck (1770-1846), dessen gewaltiges Orgeloeuvre (etwa 1000 Einzelstücke!) gerade im aktuellen Jubiläumsjahr (250. Geburtstag) noch mancher Entdeckung wert sein sollte.
Am Ende standen mit „Mazeltov“ und „Hevenu Shalom Alejchem“ zwei besonders beliebte Traditional-Arrangements ihres langjährigen „Colalaila“-Ensemblekollegen Peter Przystaniak, für die Begleiter Jorin Sandau souverän ans Klavier wechselte.
„Bewahre uns, Gott“ nach einer 1968 entstandenen Melodie des schwedischen Theologen Anders Ruuth (1926-2011) war die von den Bensheimer Konzertbesuchern stürmisch geforderte Zugabe. © Bergsträßer Anzeiger, Donnerstag, 02.07.2020
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